Johannes: Wenn ich mich mit diesen Gedanken beschäftige, macht mich das immer traurig. Wie hat Jesus Petrus ausgesandt? "Hast du mich lieb? Dann weide meine Schafe" (in Kurzform). Nicht was glaubst du, nicht hast du alles verstanden, usw. Und diese Liebe zu Jesus ist konfessionsunabhängig.
Wenn ich hier aus meiner Sicht korrigieren dürfte:
Im Grunde geht es doch um das innere Ja zu jener allumfassenden Liebe, die im Christentum als Gott personifiziert wurde (wodurch leider auch sehr anthropozentrische Gottesbilder entstanden sind). Insofern war Ihre Skepsis bezügl. des Glaubens "an Jesus" durchaus richtig und angebracht, denn letztlich geht es nicht um die Person Jesus, sondern um das, was er aus der Welt des geistigen Reiches Gottes unter die Menschen gebracht hatte: Liebe und Wahrheit in der umfassendsten Form dieser Begriffe.
Gerade am Wahrheitskriterium zeigt sich nun, wie wesentlich die Unterscheidung zwischen Sache und Träger ist. Während beispielsweise für Dostojewskij der Christusglaube – unabhängig des Wahrheitskriteriums und damit der Glaubwürdigkeit seines Trägers – unerschütterlich ist, stellt Thomas die Wahrheit über den personalen Christusglauben und damit über den Glauben schlechthin, indem er völlig logisch argumentiert, dass der Christusglauben selber von der Wahrheit oder Nichtwahrheit Christi betroffen sei, indem die Verleugnung des Letzteren dem Anspruch des Ersteren widerspricht. Denn wenn und indem der Glaube an Christus eine Verleugnung der Wahrheit als göttliche Seinswirklichkeit impliziert, wird der Christusglauben selber unglaubwürdig, ein Phänomen, gegen das sich Dostojewskij aber gerade so entschieden zur Wehr setzt.*
Im Falle der Wahrheitsablehnung zugunsten eines wahrheitsärmeren, aber oft kirchlicherseits als heilsnotwendig propagierten ‚Dennoch-Glaubens’ an Christus oder gar an dessen zu glaubendes oder anderweitig beanspruchtes Bodenpersonal, würde sich dieser Glaube also selber ad absurdum führen. Genau diese glaubensinhärente Nachgeordnetheit des Glaubens, aufgrund welcher Glauben per definitionem immer unter dem Anspruch der Wahrheit und damit unweigerlich auch der Erkenntnis steht, muss immer neu ins Bewusstsein gerufen werden.
Insofern kann es folglich auch nicht in erster Linie das Ziel von Kirche sein, "Jesus zu vermitteln" (Curato) oder "an Jesus zu glauben", sondern das, was wir als originäre Gedanken Jesu erkennen konnten, nämlich Liebe und Wahrheit, unabhängig aller menschlichen Kategorien (aber ich will Curato zugutehalten, dass er das so wahrscheinlich gemeint haben dürfte…).
Auch wenn es anfänglich ein bisschen schwierig zu sein scheint, aber im Grunde ist diese Unterscheidung glaubens- und lebensnotwendig für das, was Jesus gelehrt und gelebt hatte und wofür er gestorben 'wurde'.
*William J. Hoye, Die Wahrheit des Irrtums – Das Gewissen als Individualitätsprinzip in der Ethik des Thomas von Aquin, erschienen in Miscellanea mediaevalia, Bd. 24: Individuum und Individualität im Mittelalter, Berlin 1996, S. 419-435