#115
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von R/S » 26.07.2017, 18:03
Eine versuchte Kurzanalyse, warum ich meiner Glaubensheimat den Rücken kehren musste
Wenn man einmal davon ausgeht, dass die Suche nach Gott oder dem Göttlichen im Grunde genommen eine Suche nach der Wahrheit ist und dass Letztere das Wesen ist, auf das man unbedingt vertrauen kann und die alle jene vor dem Irrtum bewahrt, die ihr vertrauen, dann war mein stiller Abschied aus der NAK von dem Zeitpunkt an programmiert, an dem ich erkannte, dass diese Wahrheit nie im Mittelpunkt der NAK und ihrer Geistlichkeit stand. Vielmehr wurde jedes auch nur ansatzweise tieferschürfende Hinterfragen mangels Antworten mit dem bekannten Totschlagargument des "Glaubenmüssens" quittiert.
Zwischen jenem damaligen Zeitpunkt und meinem tatsächlichen Fernbleiben vergingen noch viele Jahre. Jahre der inneren und wohl auch äußeren Ablöse. Denn je mehr ich mich auf die Suche nach jener Wahrheit machte, der ich unbedingt vertrauen konnte, desto stärker wurde mir bewusst, wie weit die NAK von dieser entfernt ist.
Die Wahrheit, um die es mir ging, war das Bewusstwerden grenzenloser Sicherheit, auf die Verlass war – im Leben wie im Sterben. Nur auf das, auf das man sich unbedingt verlassen kann, ist in der Lage, den Schutz des eigenen Seins wie auch die Instabilität des individuellen Soseins zu verlassen, um auf das hin zu transzendieren, was jenseits dieses Seins Lebenssinn und Zukunft verspricht. Oder wie es Michael Depner ausdrückt: „Ohne diese Wahrheit wäre der Tod zu riskant, als dass noch jemand stürbe.“
Als Basis jedweder Weiterentwicklung ist diese Wahrheit letztlich auch der Gradmesser, der das Sein aus seinem Zwang zu sich selber befreit. Sie ist das göttliche Licht, das für den, der darauf zuschreitet, den Schatten der Angst zurücklässt. Oder wie Depner es in die wundersamen Worte kleidet: „Die Wahrheit bleibt dem, der sich auf sie verlässt, treu und jede Stärke, die ein von der Welt verlassener in sich spürt, liegt in der Treue zu dieser seiner Wahrheit.“
Dies setzt – bei aller Irrtumsverhaftetheit von uns Menschen – die eigene Wahrhaftigkeit voraus. Im Gegensatz zu Unwahrheit und Irrtum ist die Wahrheit das, womit sich das Wesen des Wahrhaftigen verträgt. Alles andere, und mag es noch so schillernd bunt und anziehend daherkommen, ist dem Menschen in Bezug auf die Wahrhaftigkeit seines Seins unverträglich. Weil dies so ist, kann jede Form von Frieden (nicht nur als Form der Abwesenheit von Streit etc.) dauerhaft nur mit der Wahrheit zusammen existieren.
Der zunehmende Mangel an innerem Frieden, mit dem ich die Gottesdienste der Neuapostolischen Kirche verließ, zeigt mir, dass bei aller Wahrhaftigkeit meiner Suche, die Wahrheit innerhalb dieser Mauern nicht oder nur marginal zu finden sein würde. Gerade die Tatsache, dass sie hin und wieder durch den Filter von Kirchen- und Aposteldoktrin hindurchschimmerte, machte mich zunehmend sicher, dass dieser Mangel nicht bei mir oder meiner Einstellung liegen könne.
Wenn nun, wie Depner weiter ausführt, „das Verhältnis von Wahrheit und Menschsein vertraglich ist und sich im Vertrag verbindet – was das Unverbundene vom Vertrag ausschließt –, ist Wahrheit jenseits ihres Vertrags mit dem Menschen bedeutungslos.“ Die Erkenntnis, die mir im Laufe der Zeit zunehmend bewusster wurde, dass nämlich das, was in meiner Glaubensheimat als Wahrheit verkauft wurde, für mich immer bedeutungsloser wurde, ließ die Suche nach der eigentlichen Wahrheit umso heftiger werden. Die zunehmende Erkenntnis - verstanden als Hinweisschilder für jene Wahrheit - aus zahllosen Büchern und Gebeten ließen im Laufe der Zeit eine Form von Gotterleben möglich werden, die ich vormals in dieser Intensität und Spontaneität nie gekannt und in seiner Nachhaltigkeit so nie erlebt hatte. Dies machte mir klar, dass zum göttlichen Geist die Wahrheit gehörte wie die andere Seite der Medaille und dass, weil das so ist, weder dieser Geist noch die dazugehörige Wahrheit "gespendet" werden könnten.
„Ich bin der ich bin (oder genauer: … der ich sein werde)“, waren die Worte, welche die Heilige Schrift Gott in den Mund legte, als dieser Mose am brennenden Busch die Führung für das Volk Israel anvertraute. Auch wenn sich hinter dieser Erzählung der Mythos alter nomadischer Gottesvorstellungen versteckt, zeugt sie doch von jener unbedingten Verlässlichkeit, die zur Grundbedeutung des hebräischen Begriffes für Wahrheit wurde. Nur mit ihr im Gepäck lassen sich Berge versetzen und Völker führen. Nur mit ihr konnten letztlich jene Überzeugungen entstehen, die den Stürmen der Zeit und des Lebens zu trotzen bereit sind, weil sie keine Hirngespinste sind, die dem Gesetz des Zweifels unterstellt wären. Denn selbst wenn die Suche nach dieser Wahrheit und ihr Hervorblinzeln aus tausend Ecken auch immer mal von Leere umgeben ist, verliert sie nicht ihre Kraft, wie uns nicht zuletzt die Schöpfung des Seins aus dem Nichtsein mitteilen möchte.
Die Suche nach dieser Wahrheit ließ sich in und mit einer Gemeinschaft, die sich schon in deren Besitz wähnte (und deshalb verständlicherweise überhaupt kein Interesse an solcher Suche haben kann), nicht mehr auf Dauer vereinbaren, ohne dass innere Konflikte die Seele auszehrten und der innere Frieden der Ungewissheit Platz machte. Jener Ungewissheit, die anders als die Ungewissheit der Wahrheitssuche, keinen Anlass gab für weitere Anstrengungen, sondern träg und deprimiert werden ließ im Glauben, die Schuld läge an der eigenen Einstellung oder fehlerhaften Haltung. Dieses zermürbende Leben ließ sich nicht auf Dauer ertragen und so blieb nur der mutige Schritt nach vorne, den weder meine Frau noch ich bis heute bereuten.
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