
ein Kommentator des Deutschlandfunks meinte heute Mittag in anderem Zusammenhang: „Politik beginnt mit der Wahrnehmung der Wirklichkeit.“ Im Ergebnis kam er zu dem Schluss, wonach es in unserem Lande derzeit genau daran mangelt.
Mangelt es in unserem Lande am Ende auch den christlichen Kirchen an realitätsnaher Wahrnehmung der Wirklichkeit? Verschaffe sich dazu jeder ein eigenes Bild...
Nun sind ja unsere überkommenen oder später dazugekommenen Kirchenbetriebe überwiegend keine basisdemokratisch organisierten Körperschaften. Wenige Beispiele ausgenommen. Denn wenn man genau hinschaut, ihren Regelwerken auf den Zahn fühlt, dann kann man hier und da schon den ernüchternden Eindruck gewinnen: „Vieles im Schaufenster und nix im Laden.“
Unsere beiden überkommenen Großkirchen mischen sich schon in die Tagespolitik ein. Hierzu nur einige wenige Beispiele: Grundwertediskussion, Familienpolitik, Kindererziehung, Schul- und Ausbildungspolitik, Ausländerintegration usw., usw...
Da tun sich christkirchliche Randgruppen schwerer. Die einen hauen noch heftiger drauf, während sich andere traditionell einigeln und sich, jedenfalls nach außen hin, vornehm jeglicher Beteiligung an aktuellen gesellschaftspolitischen Diskussionen nach dem Motto enthalten: „Jesus sagte, dass sein Reich nicht von dieser Welt sei und jeder dem Kaiser das geben soll was des Kaisers ist. Mehr nicht.“
Nun ist mir inzwischen grundsätzlich ziemlich Wurscht, was überkommene Großkirchen oder unterwegs hinzugekommene Klein-, Mittel- oder Sonderkirchen tun oder unterlassen. Was mich in diesem Zusammenhang wesentlich mehr interessiert sind die Menschen in den Reihen. Egal in welchem Kirchenbetrieb sie sich aufhalten.
Sind diese Leute offen für eine Wahrnehmung der Wirklichkeit in ihrem jeweiligen Kirchenbetrieb? Falls ja, wie erleben sie diese Wirklichkeit? Wehren sie sich, ggf. auch kirchenöffentlich, gegen Zumutungen, die ihrem eigenen Verständnis des Evangeliums entgegenstehen? Machen sie mobil oder ergeben sie sich doch lieber, vor sich hindämmernd, den überkommenen ergreifenden Liturgien, ihre Seele berührenden Liedern und der Autorität mehr oder weniger fähiger Kirchenbeamtenschaften?
Mich erschlägt immer wieder die scheinbare Frechheit des Philippus. Mitten in einer sehr wichtigen Predigt des Herrn Jesus wagt der einen kecken Zwischenruf. Ich sag´s mal mit meinen Worten: Herr, hör auf, uns etwas von deinem Vater zu erzählen. Zeige uns deinen Vater. Mehr wollen wir nicht. (vgl. Ev. Johannes 14, 8 ) Der Herr Jesus bleibt erstaunlich gelassen. Lest selber nach...
Frage: Habt ihr schon mal während eines Gottesdienstes einen solchen aufrichtigen Zwischenruf gehört? Ich nicht! Jedenfalls keinen hörbaren. Aber das bekenne ich offen und ehrlich: Ich habe, nicht nur in meiner Kinder- und Jugendkirche, viele Zwischenrufen losgelassen. Faust in der Tasche! Sie sind mir aber gleich wieder im Halse stecken geblieben. Warum? Nur weil ich Angst vor den Folgen hatte? Ja, das wohl auch. Aber warum eigentlich? Bin ich weniger als der Philippus? Ist ein amtlich bestellter Kirchenbeamter mehr als der Heiland der Welt, Jesus, Gottes Sohn, überliefert im Evangelium?
Wo fängt die Erlaubnis für die Wahrnehmung der Wirklichkeit an und wo hört sie als unerlaubt auf? Wer zieht den Stacheldraht, der mich, höchstautoritär, von meiner Heilserwartung abtrennt, sie mir gleichsam vernebelt, und mir eine unüberwindliche Grenze für gläubig aufrichtige Nachfragen in den Weg zu stellen wagt?
In der Tagespolitik darf öffentlich beklagt und eingefordert werden, dass sich die politisch Handelnden der Wahrnehmung der Wirklichkeit stellen und dem Volk offen und ehrlich unbedingt sagen müssen, was Sache ist.
Aber Pardon, dann erwarte ich von den Kirchenbetrieben nicht nur dasselbe, sondern ein Vielfaches mehr. Denn hier geht´s um mein Seelenheil. Und da es dabei um mein Seelenheil geht, Pardon, dann muss es sich mein Kirchenbetrieb gefallen lassen, wenn ich mich aktiv einmische, mir wichtige Fragen stelle und mich nicht dummdreist abspeisen oder sogar rausekeln lasse.
Luther wollte nicht die Menge der Gläubigen reformieren, sondern die damalige Kirche. Die damalige Kirche wollte sich nicht reformieren. Die Menge der Leute fragte allerdings immer mehr nach der Wahrnehmung der Wirklichkeit seitens der damaligen Kirche. Wie geht es uns dabei heute...?
Liebe Grüße, landauf und landab und besonders an meinen hier stillschweigenden südostrandbayerischen Spezi Holytux, vom ollen Maximin
