Hallo Ale
Mir geht es nicht darum, ob Sie an die ET glauben oder nicht, es geht mir hier und jetzt lediglich um systematische Fehler, die Ihren Tendenzen hin zur Schöpfungsidee zugrunde liegen. Das beginnt bereits dabei, dass Sie sich einen Schöpfer postulieren lassen, der selbst nicht zu begründen ist, d.h. dessen Existenz auf keine Art und Weise belegbar ist. Sie behaupten lediglich ein derartiges Wesen, ohne den geringsten Anhaltspunkt dafür zu haben ausser z.B. Behauptungen eines Herrn Behe über eine nichtreproduzierbare Komplexität (was natürlich ebenfalls nicht zu beweisen ist), die zwingend einen intelligenten Urheber haben müsse.
Das "vorgestrig" stammt nicht von mir, obwohl Kreationisten (Anhänger des ID sind ebenso Kreationisten, auch wenn sie sich aus gewissen Gründen nicht so nennen und den Schöpfer nicht offen als Gott bezeichnen) tatsächlich einem Weltbild von vorvorgestern anhangen. Und was ein Anhänger einer theistischen Evolution anderes sein soll als ebenfalls ein Kreationist (es muss ja nicht gleich ein Hardcore-Kurzzeit-Kreationist sein), ist mir persönlich nicht klar.
Wenn Sie meinen, aufzeigen zu müssen, "dass die ET jede Menge Schwächen hat", dann bewegen Sie sich in den längst ausgelatschten Spuren der Kreationisten. Das ist das, was ich diesen Herrschaften am meisten ankreide: Das einzige, was sie beherrschen (egal wie die Herren heissen, ob R. Jucker, Scherrer, Lönning, Gitt, Lennox, Behe oder wie auch immer) ist, den Finger in meist nur vermeintliche Wunden der ET zu stechen. Dass die ET ihre Schwächen hat, dazu stehen auch Evolutionsbiologen wie auch Genetiker. Aber vieles ist auch unbestreitbar durch die deskriptive Biologie oder durch Laborexperimente belegt.
Jedoch frage ich Sie: Was hat der Kreationismus gleich welcher Ausprägung vorzuweisen? Welche konkreten Beweise für eine Schöpfung gibt es?
Eine wissenschaftliche Theorie wie die ET bietet unzählige Möglichkeiten, falsifiziert zu werden. Was haben das diese Herren denn bisher zu falsifizieren vermocht? Haben sie etwa das berühmte Kaninchenfossil im Präkambrium gefunden und damit die Evolutionstheorie in ihrem Grundkonzept erschüttert? Nein, nichts konnte falsifiziert werden, alles was diese Herrschaften zustande bringen, sind wohl hinterfragenswürdige Wahrscheinlichkeitsberechnungen.
Zur Schneeflocke:
Sehen Sie, Sie haben schon wieder einen gravierenden Fehler in Ihren Aussagen, wenn Sie meinen "Die wenigsten Mutationen funktionieren überhaupt und von den funktionierenden scheiden jede Menge als minderwertig aus." Wie viele derartige Mutationen gab und gibt es denn? Wie viele würden funktionieren und warum oder warum nicht? Können Sie, kann Lennox oder sonst wer auf diese beiden Fragen konkrete Antworten mit Belegen liefern? Nein? Dann behaupten Sie etwas, über das Sie nichts wissen, nichts wissen können!
Dagegen hat die Wissenschaft – ich erinnere gerade auch wieder an das schon genannte Experiment Miller - darzulegen vermocht, dass aus einer möglichen Variante des Ursuppen-Gebräus auf abiotische Weise gewisse Leben fördernde Bauteile wie Aminosäuren entstehen können. Eine das Denken unnötig beschränkende Behauptung, dass der von Miller damals experimentell aufgezeigte Weg der einzige mögliche und richtige ist, würde kein ernstzunehmender Evolutionsbiologe oder -chemiker aufstellen. Keiner schliesst aus, dass es unter leicht geänderten Bedingungen auch andere Resultate hätte geben können, die aber letztlich auch zu Leben hätten führen können oder vielleicht sogar führten.
Wissenschaft ist ergebnisoffen, und wir stehen erst am Anfang der Forschungen. Bedenken Sie, dass wir erst seit wenigen Jahrzehnten die technischen Mittel haben, überhaupt auf diesem Niveau zu experimentieren. Und nicht zu vergessen: Je mehr wir wissen, desto mehr erkennen wir, was wir alles noch nicht wissen. Die Menschheit wird wohl nie „ausgewusst“ haben, egal wie viel Wissen die Wissenschaft noch schafft.
Damit es in diesem Zusammenhang nicht vergessen geht: Was haben die Vertreter einer Schöpfung nach tausenden von Jahren vorzuweisen ausser einem "am Anfang war das Wort" oder "Da sprach Gott"? und die angesprochene Kritik an der ET?
Evolution ist nicht zielgerichtet. Das für die jeweiligen Verhältnisse fitteste "Produkt" überlebt, wobei "fittest" nicht gleichbedeutend ist mit "beste". Sehen Sie sich nur unser Auge (z.B. im Gegensatz zu demjenigen der Tintenfische) an. Kein menschlicher Konstrukteur käme auf die Idee, das Auge so stümperhaft zu bauen. Wir Menschen hätten bessere Lösungen und würden bestimmt nicht die weiterleitenden Nervenzellen vor die lichtempfindlichen Stäbchen setzen. Aber es funktionierte, und so müssen wir heute mit diesem "Pfusch" (genau das wäre es, wenn ein Schöpfer dahinter stehen würde) leben, genau so wie damit, dass unsere Luftröhre idiotischerweise von der Speiseröhre abzweigt und so bei Jung und Alt schon mal feste Nahrung ins falsche Loch kommt - ein Umstand, weswegen immer wieder Menschen ersticken. Weichtiere z.B. haben dagegen keine derart idiotische Konstruktion. Und haben Sie gewusst, dass das menschliche Genom grösstenteils aus "Müll" besteht?
Sie sehen, weder das bestdenkbare noch das beste "Produkt" wird zwingend weiter verwendet, sondern das fitteste - oder vielleicht das einzige gerade verfügbare.
Wenn Sie schreiben "Es kann allerdings sehr wohl eine Aussage gemacht werden, innerhalb welchen Zeitraumes ein Ereignis erwartet werden kann.", dann mag das aus stochastischer Sicht formal richtig sein, geht aber definitiv an der Realität vorbei. Lesen Sie doch bitte meine gestrigen Ausführungen dazu nochmals.
Jedes Ereignis, das überhaupt eintreten kann, kann auch jederzeit als erstes oder auch letztes eintreten. Nehmen Sie als sehr simples Beispiel doch mal einen Würfel in die Hand und würfeln. Egal, welche Zahl Sie würfeln, diese eine Zahl hatte genau eine Wahrscheinlichkeit von 1/6, ausgerechnet oben auf dem Würfel zu liegen. Nehmen Sie zwei Würfel und würfeln, dann hatte diese eine gewürfelte Kombination, z.B. eine Drei und eine Sechs, eine Wahrscheinlichkeit von 1/36, so dort zu liegen. Aber Sie haben sie trotzdem und entgegen der errechenbaren Wahrscheinlichkeit als erste gewürfelt ...
Wie gesagt, Wahrscheinlichkeitsberechnungen sind sehr oft einfach nur irreführend, vor allem wenn es auf das Wann ankommt. Betrachten Sie daher Ihre Aussage "Selbstverständlich ist reine Evolution denkbar. Fraglich ist doch nur, wie wahrscheinlich sie innerhalb der vorgegebenen Zeiträume ist." nochmals unter diesem Blickwinkel. Ich frage Sie dazu auch nochmals: Wie wahrscheinlich war es, dass genau diese gezeigte Schneeflocke zustande kam? In der Zeit seit Bestehen dieser Welt wohl höchst unwahrscheinlich. Aber sie entstand - und es war eine Schneeflocke, nicht etwa ein Regentropfen oder sonst was.
Im andern Fall entstand vielleicht genau das Molekül oder die Molekülkette, woraus dann letzlich (vielleicht in ein paar Millionen Schritten weiter) Leben entstehen konnte. Können Sie, kann Lennox das ausschliessen?
Seien Sie bitte nicht verärgert, wenn ich Sie jetzt als etwas voreingenommen, ja vielleicht verblendet bezeichne. Sie nennen es als nämlich Schwäche, dass die Zusammensetzung der Ursuppe nicht bekannt ist, ja dass wir das eine oder andere nur mutmassen können. Was aber bitte ist es denn, einen Schöpfer zu postulieren, von dem Sie nichts, aber auch rein gar nichts wissen, einem Schöpfer, der ausschliesslich in der Phantasie mancher Menschen existiert? Bitte legen Sie doch da auch gleiche Massstäbe an.
Darf ich Ihnen noch ein Gegenbeispiel zu Ihren Aluminiumwürfeln geben: Sie haben einen Karton gefüllt mit Kugeln. Auf diesen Kugeln stehen die Buchstaben E, V, O, L, U, T, I, O und N, und zwar sind von jedem Buchstaben 9 Kugeln im Karton. Sie haben nun die Aufgabe, 9 dieser Kugeln so aneinander zu reihen, dass – wer hätte das geahnt - das Wort "EVOLUTION" gebildet wird.
Kreationisten à la Lennox würden nun bestimmt berechnen, wie wahrscheinlich es ist, dass Sie mit einem Griff genau die richtigen 9 Kugeln aus dem Karton zu fischen vermögen und die dann auch noch blind in der richtigen Reihenfolge aneinander reihen können. Ich gebe es zu, das dürfte sehr unwahrscheinlich sein.
Der etwas weniger auf mathematische Widerlegung bedachte Mensch jedoch holt eine erste Kugel raus. Ist es ein E, legt er es auf den Tisch, eine andere Buchstaben legt er einfach zurück in den Karton. Und so hat Mensch relativ schnell das Wort EVOLUTION auf dem Tisch liegen, egal was Lennox & Co für Wahrscheinlichkeitsberechnungen angestellt hätten.
Oder was meinen Sie, wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Menschlein genau 23 väterliche und 23 mütterliche Chromosomen bekommt? Berechnen Sie es mal .... und dann fragen Sie sich, wie oft genau das auf unserer kleinen Erdkugel tagtäglich, jahrein, jahraus geschieht.
Ich für mich klinke mich da wieder aus, es ist nicht meine Art, Bücher zu schreiben. Vielleicht habe ich auch einfach keine Zeit, mich kurz und trotzdem einigermassen verständlich (hoffe ich wenigstens) zu fassen.
Auf jeden Fall meine ich, Ihnen zwei, drei wichtige Denkanstösse gegeben zu haben. Was Sie draus machen, überlasse ich Ihnen. Vielleicht kaufen Sie sich ja auch einmal ein gutes Buch eines Evolutionsbiologen anstatt von einem apologetischen Mathematiker.
Weiter meine ich, dass Sie sich nicht darauf konzentrieren sollten, ob die Evolutionstheorie wahr ist oder nicht, sondern lediglich darauf, was warum plausibler ist und wo mehr erklärt und vor allem viele Erklärungen auch belegt werden. Erlauben Sie sich dabei, auch mal etwas kritischer zu sein. Vielleicht hilft es Ihnen ja, wenn Sie als Schöpfer mal ausnahmsweise nicht Gott einsetzen, sondern sich z.B. das Fliegende Spaghettimonster „schöpfenderweise“ vorstellen. Oder Gaia, oder Prometheus ... Sie versündigen sich dann in Gedanken nicht gegen Gott
Wissen Sie übrigens, viele z.T. sehr unterschiedliche Schöpfungsmythen es gibt? Die Bibel allein enthält ja schon zwei "Berichte" (was eine reichlich irreführende Bezeichnung ist). Vielleicht haben jedoch die Inuit recht, nämlich dass alles vom Himmel runterprasselte und die Menschenbabies schliesslich aus dem Erdinneren hervorkrabbelten? Oder vielleicht sind irgendwelche überirdischen Wesen die Verfasser des Codes, der uns im "Computerspiel" wie echte Lebewesen agieren, denken und fühlen lässt, obwohl wir eben nur virtuelle Konstrukte sind?
Wer weiss da schon Genaueres? Ich nicht. Aber ich meine,wenigstens zwischen glaubwürdig und nicht glaubwürdig unterscheiden zu können, und zwar als ganzes Paket. Und Sie?
Luca